„Zu Hilfe! Ich will den Knigge zurück!“


„HILFE, ICH WILL DEN KNIGGE ZURÜCK!“

SO HAT SIE ES ERLEBT:

Wenn Mann und Frau sich kennen lernen, haben beide Parteien so genannte unsichtbare Anforderungskriterien, die vom Gegenüber auf jeden Fall erfüllt werden müssen: in meinem Fall, muss „er“ zivilisiert essen, gepflegte Finger und Fußnägel vorweisen und sich ganzkörperlich im Schuss haben, sprich täglich frisch duschen, ein Deo verwenden und aus sich heraus regelmäßig zum Frisör gehen.

Wenn sich nun Frau und Mann zu Kennenlern-Zwecken verabreden, scheinen Männer ja alle diese Richtlinien vorbildlich einzuhalten. Denn die Überraschungen insofern kommen nie anfangs einer Beziehung zum Vorschein, nein sie überrollen einen immer dann, wenn man glaubt, den „Märchenprinzen“ nun endlich doch gefunden zu haben.

Denn dann geht man mit besagtem Mann zum Italiener, lässt sich die Tischkerze auf Romantisch anzünden, stößt mit einem wundervollen Glas Wein auf die nun schon ein Jahr lang anhaltende Liebe an, lächelt sich verliebt in die Augen bis der Kellner die Spaghetti Bolognese,

…ja seine Auswahl lässt zu wünschen übrig, ich weiß, aber bitte dieses Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht!“ muss ja von irgendwo herkommen…

auf den Tisch stellt und dein Gegenüber ein Messer verlangt und dann vor deinen Augen die Spaghetti-Nudeln in kleine Stücke schneidet. Spätestens dann schreit deine innere Stimme: „Nein der Märchenprinz ist das nimmer nie nicht! Steh auf und geh!“

Nun, was ist aber, wenn du diesen Mann schon liebst? Dann fängst du an, ihm liebevoll zu sagen, dass man in Italien nicht einmal einen großen Löffelt dafür verwendet, nein dass die Italiener die Spaghetti mithilfe der Gabel auf dem Teller rollen und dann zum Mund führen. Alles ohne Löffel. Geschweige denn ein Messer!

Im Bestfall antwortet dann dein Gegenüber: „Ach so? Das wusste ich nicht. Dann versuche ich es halt mal so…!“ Im Mittelbesten Fall sagt er: „Ja das weiß ich schon. Ich mag das aber nicht. Ich schneide sie mir immer!“ Und im schlimmsten Fall sagt er: „Das stimmt sicher nicht! Noch dazu ist es lächerlich!“

Tja was soll ich da jetzt noch sagen. Mit meinem liebsten Josef saß ich dann also mit dem schlimmsten Fall in einer der besten Pizzerien in Wien im ersten Bezirk, musste mitanschauen, wir er die Nudeln vor meinen Augen schnitt, um sie dann mit dem großen Löffel in seinen Mund zu schaufeln und dem noch nicht genug: ich musste mir währenddessen auch noch anhören, wie er von der wahnsinnig guten geradezu hervorragenden Pizzeria in Großweikersdorf vorschwärmte: weil man ja dort wirklich und ganz sicher und ohne Zweifel, DIE beste Pizza auf der ganzen Welt bekam. Und als ich mir dann erlaubte näherführende Fragen über Herkunft der Köche, verwendete Zutaten und Gewohnheiten der Liefersmänner zu stellen, wurde mir wirklich anders: denn die herausragenden Pluspunkte, die diese Pizzeria in GW aufwies waren wie folgt: sie verwendeten keinen Mozzarella, dafür aber milder Gouda, Prociutto Crudo war ein ihm unbekannter Begriff, wobei er meinte, dieser magere Toastschinken sei sowieso der Beste, und dass sie ebendort immer auch Mais und ein Spiegelei gratis auf die Pizza mit hinauf gaben. Und dies mache wohl verständlich, warum dies die beste Pizzeria der Welt sein musste!

Ja da blieb mir wirklich nichts mehr Anderes übrig als Sheriffartig festzustellen, dass in meiner Gegenwart ab nun neue Regeln gelten würden: nämlich diese, dass er NIE WIEDER seine Spaghetti vor meinen Augen zerschneiden dürfe. Sonst sei ich in der nächsten Sekunde weg! Weil Bauer sein und auch noch sich wie ein „Bauer“ verhalten, übersteige meine Toleranzgrenze um ein Mehrfaches!

Erstaunlicherweise wurde diese Diskussion tatsächlich nie wieder geführt. Bis zu dem Zeitpunkt, als meine Große ihren neuen Partner bei uns zum Spaghetti-Essen einlud. Denn dieser 21-jährige gutaussehende intelligente junge Mann bat bevor er zu essen begann, um ein Messer, denn dann könne (M)man(n) die Nudeln besser essen…

DIE MORAL VON DER GESCHICHT: Liebe Männer: Spaghetti-Essen mit dem Messer geht NIE NICHT! Und bitte mein liebster Bauer, wenn du schon nur isst, was du kennst, dann iss es wenigstens so, dass Knigge sich nicht im Grab umdreht! Danke lieber Josef, dass du das seither für mich tust! Denn das ist so unsexy !!!

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SO HAT ER ES ERLEBT:

Das Zusammenleben mit einer Künstlerin bringt immer wieder große Überraschungen mit sich. Zerrissenes Gewand, Unordnung in der ganzen Wohnung, die Freiheit, überall kommen und gehen zu können, wann man will, wäre ja nicht zu ertragen einem nicht entsprechenden Konzert auch nur eine Sekunde zuzuhören, und vieles andere mehr zeigte mir in der Zeit mit meiner lieben Hilde, wie frei eine Künstlerin sein will. Wie unfrei und in Zwängen sie jedoch auch leben kann, zeigt die folgende Geschichte.

Dabei muss ich noch vorausschicken, dass ich alle Kontinente bereist habe, auch in Länder kam, wo es kein Wiener Schnitzel gab und sogar nach fünf Wochen wieder wohlgenährt heim kam. Vorgaben beim Essen kannte ich bis zu einem gemeinsamen Besuch mit meiner lieben Hilde beim Italiener, nur in Japan, wo es undenkbar war, die Schuhe nicht auszuziehen und ohne Staberln zu essen. Außerdem habe ich mir auch immer erlaubt zu sagen, was mir wo wie schmeckt, und war es mir egal ob das nun dem Land entsprechend serviert, zubereitet oder sonst was war.

Das waren meine naiven Vorstellungen bis zu besagtem Besuch beim Italiener. Diesen hatten wir schon des Öfteren besucht, nur bestellte ich diesmal Spaghetti, da mir die davor gekauften Pizzen zu trocken, zu hart und zu wenig belegt waren. Meine Anmerkung, dass mir die Pizzen in der Pizzeria meines Dorfes besser schmecken, da sie einen etwas dickeren und vor allem weicheren Boden haben, sowie wesentlich besser belegt sind, war schon einer Gotteslästerung gleich kommende Kritik. Ja, ich habe keine Ahnung wie eine Pizza zu sein hätte, und ähnliche Bemerkungen musste ich mir anhören.

Kommt es denn wirklich auf die Ahnung an, wenn man äußert, was schmeckt und was nicht? Ich weiß was mir schmeckt, und äußere das, ob das „politisch korrekt“ ist oder nicht, ist mir total egal! Diese Aussagen ließen meine ach so freie Künstlerin nahezu verfallen, es kam offensichtlich einer Schändung ihres geliebten Italiens gleich.

Dass dies noch zu überbieten wäre, dachte ich nicht, doch es war es, nämlich mit den Spaghetti. Da hatte ich ungebildeter Banause mir erlaubt, um ein Messer zu bitten, da ich diese „aufwendige“ Aufwicklerei und die resultierende Schlürferei nicht ausstehen kann. Ja da war dann tatsächlich Schluss mit Lustig.

Das sei primitiv, ignorant, abstoßend, typisch Bauer und vieles andere mehr musste ich mir anhören, und das nur weil ich praktisch dachte und ohne kleckern und schlürfen essen wollte. Einfach so wie mir schon Jahrzehnte davor die Spaghetti am besten schmeckten. „Damit ist ab jetzt Schluss“ war ihre Reaktion. Da gab es für meine liebe Hilde auch keinen Verhandlungsspielraum oder gar die geringste Toleranz.

Meine Überraschung war groß, dachte ich doch bis zu diesem Zeitpunkt, meine liebe Hilde sei freiheitsliebend und könne vor allem Vorgaben und Regeln nie und nimmer ertragen, dass ich nun durch sie eine für mich nicht nachvollziehbare Regel vorgesetzt bekam, konnte und kann ich bis heute nicht verstehen, daran sollte jedoch unsere Liebe keinesfalls leiden, und ich versprach ihr, mich an ihre Vorgabe zu halten, wenn ich seit dieser Zeit auch der Letzte bin, der seinen Spaghetti Teller geleert hat.

DIE MORAL VON DER GESCHICHT: Auch die noch so revoltierende Künstlerin hat Vorgaben und Regeln, die keinesfalls zu missachten sind! Diese zu hinterfragen oder gar ändern zu wollen geht gar nicht. So danke ich der lieben Hilde, dass sie durch die offene Äußerung mir die Chance gibt, ihren Regeln zumindest in ihrer Gegenwart gerecht zu werden.

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