Hirn oder Herz?


„ENDLICH WIEDER FORMEL 1!“ WAS FÜR EIN GLÜCK, DASS SIE ES GANZ ANDERS EMPFINDET!

SO ERLEBT SIE ES:

Ich erinnere mich als Kind an viele Sonntage, als draußen die Sonne schien, und mein Vater fett im Fernsehsessel thronte, umgeben von zugezogenen Vorhängen und eingenebelt in seinen eigenen Zigarrenrauch, den er in all den Stunden ununterbrochen neu produzierte. Und obwohl ich schon als Kind kaum vom TV-Gerät wegzubringen war, suchte ich an solchen Sonntagen die Natur sogar freiwillig auf. Und an was ich mich auch noch erinnere ist, dass wir dann im Garten, egal wo wir spielten, ununterbrochen diesen mir so unendlich sinnlos erscheinenden Motorenlärm der Formel 1 Fahrzeuge mitanhören mussten, weil mein Vater ansonsten wahrscheinlich gar nichts mehr sehen hätte können, wenn er nicht die Türen fürs Rauch-Entlüften alle geöffnet hielt.

Was ich mich auch noch erinnere, waren jedes Jahr Diskussionen bei meinem Onkel, immer wenn er wieder von Monza zurückkam, weil er dort laut meiner Tante „immer zu vielen Frauen nachschaue!“ Warum sie das wisse, hatte ich einmal nachgefragt, worauf sie alsbald in Tränen ausbrach und schluchzte, „…weil der Briefkasten jedes Mal nach Monza überquelle…!“ Ich weiß nur, dass ich sie damals nicht verstand, dass ich aber in meinem Inneren notierte: Die Formel 1 ist gefährlich nicht nur auf der Autorennbahn, nein auch als Zuschauer hatte man nachher nur Scherereien!

Und dann lernte ich meinen Josef kennen: und zwar in einem Herbst außerhalb der Formel 1 Saison. Wo er mir stundenlange Vorträge über „Erneuerbare Energien“, über sämtliche Kriege, die es auf unserer Welt nur aufgrund unseres „Energiehungers“ (Weil wir so viel Strom verbrauchten und dadurch auch erzeugen mussten!) gebe. Und dass ich, wenn er mich und meine Kinder beobachte, wirklich den Großteil dieser „Schuld“ alleine in unserer Kleinfamilie produzieren würde. Denn er habe in seinem ganzen Leben zuvor noch nie so eine sinnlose Energieverschwendung gesehen!

Und dann kam der erste Frühling. Und es stellte sich heraus, dass mein ungemein gewissenhafter Energiesheriff ein Hardcorefan vom Formel 1 war. Und nicht nur das, nein ab nun sollte diese Formel 1 auch noch jeden Sonntag über unseren Zeitplan bestimmen. Und das obwohl mein lieber Josef sogar auch jeden Samstag bis abends arbeitet und wirklich nur den Sonntag als einzig freien Tag in der Woche reservierte.

Halleluhja! War meine erste Reaktion! Und die ersten beiden Jahre hatte ich diesen Kelch noch etwas von mir abwehren können. Doch jetzt ist es aus, nachdem es auch noch Stimmen in seinem Freundeskreis gegeben hatte, die besagten, „dass in diesen Beziehungs-Ambulanz-Blogs immer nur er nachgeben würde“, steht in diesem Jahr das Thema Formel 1 nicht einmal mehr zur Diskussion! Nein letzten Sonntag war es sogar so, dass meine Tochter und ich einen „Anschiss“ bekamen, weil das Essen, das wir und ihr Freund zubereitet hatten, sprich mein lieber Josef hatte währenddessen selig geschlafen, ausgerechnet kurz vor 17h serviert worden war: „Muss das genau jetzt sein?!“

Ja und dann erdreistete sich mein Sohn, da jetzt natürlich während unseres Essens Formel 1 geschaut werden musste, zu sagen, er höre nichts, worauf ihn mein lieber Josef auf der Stelle zurechtwies: „Fernschauen heißt schauen und nicht hören!“

Was ich natürlich als willkommene Einladung annahm, währenddessen doch noch weiter zu reden. Tja, wenn ich nur die richtigen Worte gewählt hätte! Aber nein, ich hatte die Frechheit gehabt, ein anteilnehmendes Weinen wegen dem Ausfall von Vettel vorzugeben. Ja und das ging gar nicht! Denn so schnell konnte ich gar nicht mehr aufhören, wie mein Josef in die Luft ging und endgültig explodierte.

„Eine Frechheit sei das! Eine unglaubliche Impertinenz! Wenn ich „meine Vorstadtweiber“ schaute, dann nähme ich das Telefon nicht einmal ab! Und ich? Ich würde dreinreden ins Geschehen, live währenddessen! Und nicht nur das! Ich würde mich obendrein sogar über seine Gefühle lustig machen…! Denn das wisse ich wohl, dass er ein auskochter Vettel-Fan sei!“

DIE MORAL VON DER GESCHICHT: tu niemals die Gefühle des lieben Bauern untergraben wollen nicht! Formel 1 ist heilig und soll es auch bleiben dürfen! Mein lieber Bauer, ich werde nie wieder auch nur einen Ton von mir geben. Ein Vorschlag zur Güte: vielleicht könnten wir auch dann mal ein, zwei Sonntage ausfallen lassen und auf Video aufnehmen?

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SO ERLEBT ER ES:

Warum nur kann es so ein großes Thema sein, wenn ich Formel 1 schaue? Natürlich weiß ich, dass hier Unmengen Benzin verbrannt werden und diese Rennklasse ein Auslaufmodell ist und die Zukunft der Elektromobilität gehört. Die Ursache dafür liegt wohl in meiner Jugend, denn da war ich mit dem Motorrad selbst auf der Rennstrecke unterwegs und habe mir scheinbar einen Virus eingehandelt, den ich schwer losbringe.

Mir ist völlig klar wie katastrophal die Umweltbilanz der Formel 1 aussieht, daher so nicht mehr lange bestehen wird. Ebenfalls klar ist mir, dass auch das Schifahren heute eine fürchterliche Umweltbilanz aufweist, da durch das Beschneien wahnsinnig viel Energie verbrannt wird. Was mir darüber hinaus noch klar ist, ist die Tatsache, dass im Hause meiner lieben Hilde, die Energie auch aus der Steckdose kommt, und sich niemand frägt wie und woher sie kommt. Da wird beim Aufstehen als erstes sofort alles, was an Licht zur Verfügung steht, aufgedreht, was ja der guten Laune dient. Auch sonst ist hier Nachhaltigkeit oder gar Ressourcen sparen ein Fremdwort.

Da ich das schon des Öfteren angesprochen habe, sich zurücknehmen natürlich schmerzt, muss ich mir nun meine Leidenschaft zum Rennsport vorhalten lassen. Dabei bin ich hier weit nicht mehr so ambitioniert, dass ich jedes Rennen sehen muss, vor allem seit ich meine liebe Hilde kenne, ohnedies meist darauf verzichtet habe.

Was war dann letzten Sonntag, einem sonnigen Frühlingstag, passiert? Bei der morgendlichen Besprechung über den Tag, diese fand so gegen Mittag statt, davor war ja ausschlafen und frühstücken angesagt, kamen wir zum Schluss, dass wir, zum gefühlt tausendsten Mal, auf die Baumgartner Höhe gehen, des schönen Wetters wegen. Für mich, der ich mit der Natur gar nichts zu tun habe, das absolute Sonntags Wunschprogramm, vor allem da man dort das Naturerlebnis mit tausenden Menschen teilen kann.

Dies obwohl ich mitgeteilt hatte, dass ich nach einer anstrengenden Woche eher nur faulenzen mag, saunieren gehen möchte oder mich auf die Formel 1 freuen würde. Dann kam das gnädige, „ja wenn wir auf die Baumgartner Höhe gehen, kannst ja nachher gerne schauen“. So habe ich mir ein selbstbestimmtes Leben immer vorgestellt!

Mit aufgefüllten Frischlufttanks kamen wir dann eine gute Stunde vor dem Rennen zurück, und ich hatte eine derartige Frischluftvergiftung, dass ich doch tatsächlich, auf der Couch liegend, nochmal kurz eingeschlafen bin. War ja auch schon mindestens zwei Stunden früher auf und dachte am Sonntag darf das sein. Mit Nichten, das war eine Provokation für meinen Schatz, da ich dadurch bei den Essensvorbereitungen nicht mitgeholfen hatte.

Dann realisierte ich noch, dass nun das Essen und der Start des Rennens ziemlich zeitgleich sein würde und sprach dies an, da ich ja wusste, dass bei meiner lieben Hilde die Essenszeit eine heilige ist, bei der alle am Tisch sein müssen, bis der letzte fertig ist, und dabei keinesfalls ein Fernseher laufen darf. So sprach ich das an und bat darum, dass wir den Fernseher aufdrehen, damit ich den spannenden Start wenigstens sehen konnte. Dabei meinte ich, wir bräuchten eh keinen störenden Ton, da ich in erster Line Formel 1 schauen möchte und nicht hören.

Das wiederrum verleitete meine Liebe dazu, dass sie dachte, sie müsse den Ton dazu geben, der dann eine einzige Beschimpfung über den Rennsport und die Dummheit jener, die ihn ansehen, war. Dies so lange bis mir der Kragen platze, und ich ihr klar machte, sie möge sich doch mal vorstellen, ich würde ähnliches bei ihren Serien oder Trash-TV-Konsum machen. Das war dann so unvorstellbar für sie, dass sie in der nächsten Sekunde weg war, und Sohnemann und ich ungestört weiter schauen konnten.

DIE MORAL VON DER GESCHICHT: Versuche der lieben Künstlerin erst gar nicht die Formel 1 zu erklären, sondern teile den Sonntag früh genug mit Zeit für das Rennen ein, um davor und danach voll und ganz für die liebe Hilde da zu sein.

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